"Die Generation Z ist eine sehr selbstbewusste Generation, die viel Wert auf authentische Informationen legt."
17.10.2022
Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels kommt der Rekrutierung von Auszubildenden eine steigende Bedeutung zu. Im Gespräch mit foraus.de erläutert Tilman Liebert, wie ausbildende Betriebe beim Thema "Azubimarketing" erfolgreich sein können.

Tilman Liebert ist Berater, Trainer und Projektreferent bei der Gesellschaft für berufliche Förderung in der Wirtschaft e.V. (GBFW), die im Bezirk der Industrie- und Handelskammer zu Köln (IHK Köln) aktiv ist. Dort ist er mitverantwortlich für das Projekt "Ausbildung 4.0 – Wir machen Sie fit!", das kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit Workshops, Werkstätten und Online-Seminaren u.a. bei der zeitgemäßen Suche nach Auszubildenden unterstützt. Daneben war Liebert beteiligt an der Entwicklung des kostenfreien Online-Tools "Storygenerator", das sich ebenfalls an KMU richtet und dem Rekrutieren von Auszubildenden - durch zielgruppengerechtes Geschichtenerzählen – neue Erfolgschancen verschafft.

Angesichts der großen Zahl unbesetzter Lehrstellen in Deutschland und dem anhaltenden Trend zur Akademisierung der Arbeitswelt: Was können ausbildende Betriebe überhaupt noch tun, um für junge Menschen sichtbar und relevant zu bleiben?
In der betrieblichen Bildung besteht großer Handlungsdruck, überhaupt Auszubildende zu finden. Und in aller Regel sind KMU vom Fachkräftemangel härter betroffen als große Unternehmen. Mitunter wird die Situation aber so beschrieben, als gäbe es kein Licht mehr am Ende des Tunnels. So kritisch sehe ich die Lage nicht. Meine Botschaft an ausbildende Betriebe lautet: Nutzt die Chancen, die sich bereits bieten – etwa wenn es um die Teilnahme an Messen zur Berufsorientierung geht oder um Auftritte auf Web-Portalen zum Übergang von der Schule in den Beruf. Es geht darum, dabei zu sein! Und nicht selten hapert es schon an diesem "Dabeisein", obwohl ganz viel davon abhängt. Dann hat ein Betrieb zwar erkannt, dass beim Azubimarketing mehr getan werden muss – und priorisiert das Thema dennoch nicht.
Das Schülerpraktikum ist zum Beispiel ein ganz zentrales Element, wenn es darum geht, junge Menschen auf den eigenen Betrieb aufmerksam zu machen. Seltsamerweise kann so ein Angebot trotzdem, insbesondere für kleine Unternehmen, schnell eine Hürde darstellen. In diesen Fällen fühlen sie sich vielleicht bei der Ausgestaltung der Praktika überfordert oder es steckt gar die Haltung dahinter, dass alles, was nicht unmittelbar dem Tagesgeschäft dient, ein zu großer Aufwand sei.
"Die Erfahrung zeigt, dass die Generation Z sich besonders für die beruflichen Perspektiven im Betrieb interessiert und mögliche Übernahmechancen. Auch die Transparenz beim Gehalt ist sehr wichtig."
Tilman Liebert
Täuscht der Eindruck, dass sich einige Betriebe schwer damit tun, von der Rolle des "Umworbenen" in die Rolle des "Umwerbenden" zu wechseln?
Nein, der Eindruck täuscht nicht. Es gibt Betriebe, die gar keine Bewerbungen auf offene Azubi-Stellen bekommen. Gleichzeitig finden Betriebe, die umtriebig sind, immer noch ausreichend Bewerberinnen und Bewerber. Hier können auch kleine Betriebe mit rund 40 Mitarbeitenden durchaus erfolgreich sein. Ich glaube, dass die Schere zwischen Betrieben, die viel in Azubimarketing investieren und jenen, die sich diesem Thema wenig annehmen, auseinandergeht. Und um hier das Bild vom vermeintlich fehlenden Licht am Ende des Tunnels aufzugreifen, könnte man sagen: Wir müssen das Licht wieder anmachen! In Regionen, in denen dies gelingt, kann dann sogar ein gesunder Wettbewerb um Auszubildende entstehen, der sich in kreativen Maßnahmen äußert wie etwa dem monatsweisen zur Verfügung stellen eines E-Autos für Auszubildende. Davon können am Ende alle Seiten – Betriebe und Jugendliche – profitieren.
Was zeichnet erfolgreiches Azubimarketing für die Generation Z aus und welche Herangehensweise sollte es unbedingt beinhalten?
Als ersten Schritt sollte man vorhandene Plattformen nutzen. Durch die Corona-Pandemie ist das Angebot in diesem Bereich sogar gestiegen. Auf Webseiten zur Berufsorientierung vertreten zu sein, führt dazu, dass die Sichtbarkeit des eigenen Betriebs steigt und man mit größerer Wahrscheinlichkeit überhaupt eine Auswahl an Bewerbungen bekommt. Und selbst wenn aus diesem Schritt nicht unmittelbar Ausbildungsverhältnisse entstehen, ist er sehr wichtig, da er langfristig wirkungsvoll sein kann.
Man muss ja ohnehin den Weg der Digitalisierung gehen und als Betrieb dafür sorgen, dass man im Internet sichtbar ist. Dann ist es sinnvoll, das Azubimarketing gleich in diese Maßnahmen zu integrieren.
Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle von sozialen Netzwerken ein?
Für KMU ist es eher schwer, eine Social Media-Strategie umzusetzen, da diese sehr ressourcenaufwendig ist. Sollte man im Einzelfall jedoch einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Betrieb haben, die an diesem Thema Spaß haben, sollte man sie oder ihn nicht bremsen!
Meiner Meinung nach ist es erst sinnvoll auf soziale Netzwerke zu setzen, wenn man das betriebseigene Azubimarketing ohnehin breit aufgestellt hat. Ansonsten fehlen einem schnell die Inhalte. Hat man allerdings die Ressourcen und ist auf Messen zur Berufsorientierung vertreten oder bietet zum Beispiel einen Tag der offenen Tür an, kann man in sozialen Netzwerken gut darüber berichten.
Wem in der Ansprache an die Zielgruppe die kreativen Ideen fehlen, kann sich etwa von dem Tool "Storygenerator" helfen lassen, das Ausbildungsangebote in spannende Geschichten verpackt. So kann man mit Schülerinnen und Schülern auf eine Art in Kontakt treten, die sie kennen. Schließlich erzeugt die Generation Z in den sozialen Netzwerken – mit Story- und Reel-Funktionen - permanent Geschichten.
Als Betrieb lohnt es sich außerdem auch zu fragen: Inwieweit tragen meine Mitarbeitenden die Firma vor sich her? Es kann nämlich sehr effektiv sein, wenn sie etwa über ihre privaten Social Media-Kanäle kommunizieren, dass im Betrieb Auszubildende gesucht werden.

Welche Tipps können Sie Betrieben für die Gestaltung ihrer Webseiten geben?
Der Begriff "Ausbildung" sollte schon auf der Startseite gut sichtbar platziert sein und nicht etwa versteckt hinter dem Wort "Karriere". Außerdem wünschen sich Schülerinnen und Schüler klare Informationen. Lange Inhalte zur Firmengeschichte sollten in der Stellenausschreibung deshalb vermieden werden.
Die Erfahrung zeigt, dass die Generation Z sich besonders für die beruflichen Perspektiven im Betrieb interessiert und mögliche Übernahmechancen. Auch die Transparenz beim Gehalt ist sehr wichtig. Daneben sollte man bedenken, dass vielen Jugendlichen die Abläufe im dualen System nicht vollständig bekannt sind. Hier ist es hilfreich, wenn man schon in der Stellenanzeige kommuniziert, wann etwa die Zeit in der Berufsschule angesetzt ist und wann sich die Auszubildenden im Betrieb aufhalten.
Zur Sprache auf Webseiten empfehle ich, kurze Sätze zu verwenden und in jedem Fall auf Jugendsprache zu verzichten. Die Generation Z ist eine sehr selbstbewusste Generation, die viel Wert auf authentische Informationen legt.
Ich rate vor einer anstehenden Rekrutierungsphase außerdem dazu, die eigene Webseite zu überprüfen. Sind die verwendeten Bilder aktuell und stimmen die angegebenen Informationen noch?
Steigen mit Rekrutierungsmaßnahmen, die über Schülerpraktika und den Weg zur Arbeitsagentur hinausgehen, zwangsläufig Aufwand und Kosten für ausbildende Betriebe?
Für Betriebe, die sich in der Vergangenheit praktisch gar nicht um das Thema Azubimarketing gekümmert haben, ist sicherlich ein Kostenaufwand da. Schließlich starten sie im Grunde bei null. Anmeldungen bei Portalen zur Berufsorientierung und die Erreichung von Sichtbarkeit über Suchmaschinen verursachen aber keine enormen Kosten. Es gibt viele Angebote, die sogar kostenfrei sind. Mit ein paar Hundert Euro monatlich kann man darüber hinaus schon etwas erreichen und sein Ausbildungsangebot gut platzieren. Das liegt auch daran, dass Azubimarketing regional bleibt. Überregionale Werbung ergibt hier keinen Sinn, da Jugendliche in Wohnortnähe suchen und eher nicht dazu bereit sind, für eine Ausbildung umzuziehen.
"Wenn man im Betrieb moderne Technik im Einsatz hat, sollten Jugendliche sie unbedingt zu Gesicht bekommen."
Tilman Liebert
Welchen Stellenwert würden Sie eher klassischen Präsenz-Aktivitäten wie Teilnahmen an Messen oder Tagen der offenen Tür beimessen – im Vergleich zu 4.0-Aktivitäten?
Diese klassischen Maßnahmen werden durch 4.0-Aktivitäten nicht abgelöst. Beide Bereiche ergänzen sich gut. Man sollte auch bei Messen vor Ort sein und persönlichen Kontakt ermöglichen. Insbesondere die Eltern potenzieller Azubis begleiten ihre Kinder gerne auf diesen Veranstaltungen und spielen im Entscheidungsprozess als "erste Berater" eine wichtige Rolle.
Wenn man es schafft, eine Schulkooperation zu schließen, ist dies ebenfalls eine sehr gute Option, die sich sehr positiv auf das Image eines Betriebs auswirken und für langfristige Bekanntheit sorgen kann.
Und selbstverständlich findet die Rekrutierung von Auszubildenden noch immer stark über persönliche Kontakte statt. Beispielsweise werden die Kinder von Mitarbeitenden gerne dafür gewonnen - mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringen mag.
Sind erfolgreiches Azubimarketing für die Generation Z und ein grundlegendes "digitales Mindset" im ausbildenden Betrieb im Grunde zwei Seiten einer Medaille?
Ich glaube, dass diese Wahrnehmung korrekt ist. Oftmals suchen gerade jene Firmen, die schon ein "digitales Mindset" haben – was sich beispielsweise darin äußern kann, dass auf die elektronische Berichtsheftführung gesetzt wird - mehr Informationen, um sich zu verbessern, während andere Betriebe dieses Feld gar nicht bearbeiten.
In jedem Fall stört viele Jugendliche veraltete Technik. Mit dem Einsatz von Tablets oder 3D-Druck-Technologie können Firmen punkten. Wenn man im Betrieb also moderne Technik im Einsatz hat, sollten Jugendliche sie unbedingt zu Gesicht bekommen – etwa im Rahmen von Praktika.
Wie lautet die Formel für erfolgreiches Azubimarketing?
Es gibt bei diesem Thema nicht den einen richtigen Weg. Betriebe sollten vielmehr eine Vielzahl von Aktivitäten ergreifen und sich dabei langfristige Ziele setzen. Geht man kontinuierlich kleine Schritte und ist dabei konsequent, kann man bei der Rekrutierung von Auszubildenden erfolgreich sein. Gleichzeitig sorgt diese Herangehensweise dafür, dass das Thema keine Belastung für den Betrieb im Alltag wird.
Herr Liebert, vielen Dank für das interessante Gespräch!
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