"Ein guter Ausbildungsbetrieb zeichnet sich nicht allein dadurch aus, dass er über die modernste Technik verfügt, sondern dass das erforderliche Know-how vermittelt wird"
Dr. Barbara Laubrock ist Vorsitzende des bundesweiten Arbeitskreises der zuständigen Stellen für die Berufsbildung im Agrarbereich sowie Geschäftsbereichsleiterin der Berufsbildung und Fachschulen bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Im Interview spricht sie u.a. über neue Anforderungen an die Ausbildung in "grünen" Berufen sowie den Fortschritt bei der Digitalisierung in der Landwirtschaft.

Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, als Körperschaft des öffentlichen Rechts, hat u.a. die Aufgabe, die Landwirtschaft und ihre Berufstätigen zu fördern und zu betreuen. Dazu gehört auch die nicht pflichtschulmäßige Berufsausbildung und die berufliche Fortbildung des Berufsnachwuchses sowie die berufsbezogene Weiterbildung aller in der Landwirtschaft Tätigen. Die Kammer unterstützt Betriebe darüber hinaus in ihrer nachhaltigen Entwicklung durch Beratung.
Frau Dr. Laubrock, stellen sich neue Anforderungen an die Berufsausbildung in der Landwirtschaft durch die Digitalisierung?
Die Automatisierung von Arbeitsprozessen hat schon vor Jahren Einzug in die Landwirtschaft gehalten und die Digitalisierung schreitet rasant voran. Dennoch erfolgt die Berufsausbildung zum Landwirt oder zur Landwirtin immer noch auf der Grundlage einer Ausbildungsverordnung von 1995. Die geltende Verordnung ist grundsätzlich "verfahrensneutral" angelegt, so dass die Ausbildung in allen Bewirtschaftungsformen und landwirtschaftlichen Produktionssystemen möglich ist. Eine breit angelegte berufliche Qualifizierung wird gewährleistet.
Allerdings haben zwischenzeitlich bei einem der Sozialpartner, dem DBV (Deutscher Bauernverband), Sondierungsgespräche zu einer Neuordnung stattgefunden. Nach wie vor wird der Vermittlung möglichst breit angelegter landwirtschaftsfachlicher Grundkompetenzen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die rasante technologische Entwicklung wird sich vermutlich im Wesentlichen in einer einzuführenden integrativ zu vermittelnden Berufsbildposition "Digitalisierung der Arbeit, Datenschutz und Informationssicherheit" widerspiegeln.
Haben sich die Berufspraxis und die darauf vorbereitenden Ausbildungsinhalte verändert?
Natürlich haben sich Arbeitsabläufe in der Landwirtschaft verändert, denken wir etwa an den Einsatz von Fütterungs- oder Melkrobotern. Dass sich dadurch Ausbildungsinhalte grundsätzlich ändern, würde ich aber nicht behaupten. Denn nach wie vor, müssen den Auszubildenden u.a. die Grundlagen der Tierhaltung und der Milcherzeugung vermittelt werden. Auch wenn über diverse Sensoren die physiologischen Parameter der Tiere erfasst werden, muss ein Landwirt oder eine Landwirtin beispielsweise in der Lage sein, kranke Tiere zu erkennen. Tierwohl wird maßgeblich durch das Verhalten der Landwirte gegenüber den Tieren bestimmt.
Hinsichtlich des Digitalisierungsgrades sind die Ausbildungsbetriebe sehr unterschiedlich aufgestellt, denn nicht alle einzelbetrieblichen Investitionen in technologische Entwicklungen rechnen sich. Ein guter Ausbildungsbetrieb zeichnet sich nicht allein dadurch aus, dass er über die modernste Technik verfügt, sondern dass das zu deren effektiver Nutzung erforderliche Know-how vermittelt wird. Deshalb wird die überbetriebliche Ausbildung als Bestandteil der betrieblichen Ausbildung weiter an Bedeutung gewinnen.
Möglicherweise sind Dauer und Inhalte der überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen dem technischen Fortschritt regelmäßig anzupassen. Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten (DEULA-Schulen und Lehr- und Versuchsgüter) können in der Regel auf modernste Technik zugreifen. Es reicht aber nicht aus, nur die Fahrzeuge oder Maschinen kennenzulernen, auch der Umgang mit den im Produktionsprozess erzeugten Daten will gelernt sein.

Welche Auswirkungen haben die neuen Anforderungen auf die in der Ausbildung eingesetzten Lernmethoden?
In einer Welt, in der die Halbwertszeit von Wissen immer kürzer wird, gewinnt die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung an Bedeutung. Dabei geht es auch darum, aus der Flut von Informationen die "richtigen" herauszufinden. Um diese Kompetenzentwicklung in der Schule und in der betrieblichen Ausbildung zu fördern, bedarf es entsprechender Lernmethoden. Die Lehrenden vermitteln nicht mehr in erster Linie Wissen, sondern sie fungieren als Lerncoaches. "Offene Lernumgebungen" und "selbstgesteuertes Lernen" sind Schlagworte, wenn es darum geht, Lernende stärker an ihrem Lernprozess zu beteiligen.
Vernetzung zu Lerngruppen oder Projektarbeit, bei der in Kleingruppen komplexe Problemstellungen aus der Arbeitswelt weitgehend selbstverantwortlich gelöst werden, sind heute gängige Lernmethoden. Schule findet nicht mehr nur als Präsenzveranstaltung statt, sondern auch mittels E-Learning oder mit Lernmanagementsystemen.
"Wenn jetzt Überlegungen zur Neuordnung des Ausbildungsberufes angestellt werden, sollte man sich intensiv mit den Prüfungsformaten beschäftigen."
Welche Rolle spielen in der Ausbildung in der Landwirtschaft neue Medien, z.B. Social Media, Augmented Reality oder Virtual Reality?
Digitale Medien sind Bestandteil der eben skizzierten Lernmethoden, indem sie der Beschaffung von Fachwissen dienen, als Kommunikationsmittel verwendet oder etwa zur Darstellung des Fortschritts in einer Projektarbeit eingesetzt werden.
VR-Brillen können als Simulatoren für Ausbildungszwecke - beispielsweise bei der Steuerung von Maschinen - eingesetzt werden. Der Einsatz erfolgt aber meines Wissens bisher nur vereinzelt und ist sicher ausbaufähig.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Berufsschulen?
Den Berufsschulen kommt eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der digitalen Kompetenzen zu. Das setzt zunächst eine umfassende Medienkompetenz bei den Lehrenden sowie eine entsprechende Ausstattung der Schulen voraus. Hier gab es – nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie bedingt – erhebliche Fortschritte in den vergangenen Jahren.
Wichtig ist aber auch, dass die Lehrkräfte fachlich mit den fortschreitenden Technologieentwicklungen in der Landwirtschaft auf dem Laufenden bleiben. Dazu sollte es entsprechende Fortbildungsangebote in den landwirtschaftlichen Bildungszentren oder bei den Anbietern der überbetrieblichen Ausbildung geben. Das Interesse der Lehrkräfte ist vorhanden.
Wo zeigen sich aus Ihrer Sicht die größten Probleme in der Ausbildung 4.0?
In der Ausbildung sind wir sicher noch nicht bei 4.0 angekommen. Auch auf den landwirtschaftlichen Betrieben ist "Smart Farming" bei vielen Betrieben nur im Ansatz realisiert. Somit ergibt sich ein sehr heterogenes Bild in der Berufsausbildung. Folglich stellt sich auch die Frage nach der technischen Ausstattung von Betrieben, die als Prüfungsstätten fungieren. Prüflinge, die im Umgang mit bestimmten Maschinen weniger geübt sind, dürfen dadurch keine Nachteile erleiden. Wenn jetzt Überlegungen zur Neuordnung des Ausbildungsberufes angestellt werden, sollte man sich intensiv mit den Prüfungsformaten beschäftigen.
Die Herausforderung bei der Erlangung der "beruflichen Handlungsfähigkeit" am Ende der Berufsausbildung besteht in einer inhaltlich und methodisch ausgewogenen, auf die betrieblichen Anforderungen abgestimmten Vermittlung von beruflichem Wissen und Können. Zugleich ist die Basis dafür, der Erwerb und die Förderung personaler Kompetenzen, weiter im Fokus zu behalten.
Frau Dr. Laubrock, vielen Dank für das Gespräch!