BP:
 

Nachhaltigkeit in der betrieblichen Ausbildung am Beispiel des Fleischerhandwerks

08.01.2020 | Julia Schwarzkopf, Claudia Müller, Carolin Ermer, Jens Reißland, Laura Rühr, Prof. Dr. Kai Reinhardt

Der Modellversuch Trans-Sustain setzt sich mit Nachhaltigkeit in der betrieblichen Ausbildung des Fleischerhandwerks auseinander und entwickelt Tools, die die Betriebe bei der Integration von Nachhaltigkeit in ihren Prozessen und Arbeitsabläufen vor Ort unterstützen können.

Nachhaltigkeit in der betrieblichen Ausbildung am Beispiel des Fleischerhandwerks

Die Lebensmittelbranche ist im Wandel und damit nicht zuletzt auch das Fleischerhandwerk. Das Berufsbild des Fleischers/der Fleischerin zählt zu den ältesten traditionell gewachsenen Handwerksberufen. Das Fleischerhandwerk hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend gewandelt: von der Schlachtung hin zu einer Fokussierung auf die Veredlung von Fleisch. Die Lebensmittelbranche muss sich dazu seit geraumer Zeit verschiedenen Herausforderungen stellen. Das zeigt sich einerseits daran, dass dieses Ernährungshandwerk einen spürbaren Imageverlust erlebt, was sich ebenfalls in den sinkenden Beschäftigtenzahlen zeigt. Das Abnehmen der Personalzahlen wird durch den anhaltende Bewerbermangel für das Fleischerhandwerk weiter forciert. Laut dem Jahresbericht des Deutschen Fleischer Verbands befanden sich am Ende des Jahres 2018 in Deutschland 2.926 Auszubildende zum Fleischer /zur Fleischerin in einem Ausbildungsverhältnis, davon entsprechend 1.195 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge im Berichtsjahr.

Neben der Nachwuchs- und Personalproblematik im Fleischerhandwerk hat die Branche mit weiteren Herausforderungen zu kämpfen: die Abwanderung von Kunden aufgrund von Billigfleisch vom Discounter, auftretende Fleischskandale sowie kritisch propagierte Ernährungstrends gegen Fleischverzehr. All das führt letztlich zu einem vermehrten Sterben kleiner traditionell gewachsener Fleischereien in Deutschland. Seit 2005 hat sich die Zahl dieser um mehr als ein Viertel verringert.

Gleichzeitig ist der Fleischkonsum der Deutschen trotz Ernährungstrends wie Veganismus/ Vegetarismus und Fleischskandalen ungebrochen. Die noch bestehenden kleinen und mittelständischen Fleischereien müssen, um sich langfristig gegen Discounter und große Ketten auf dem Markt behaupten zu können, neue Wege gehen. Nachhaltigkeit ist hier ein wichtiges Thema für die Zukunftsorientierung, mit dem sich nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus ökologischer Perspektive dieses Berufsfeld neu finden und erfinden lassen kann.

Innovative und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Geschäftsmodelle zeigen, dass diese erfolgreich funktionieren, beispielsweise alternative Fleischerei-Communities wie www.kauf-ne-kuh.de oder neue Konzept-Fleischereien mit modernen Marketingkonzepten für traditionelle Produkte (z.B. Kumpel & Keule in Berlin). Nicht nur im Fleischerhandwerk, sondern auch in der Ausbildung ist es daher relevant, sich mit Themen der Nachhaltigkeit, wie Aufzucht, Stallhygiene, Tierwohl und Ressourcenschonung ernsthaft auseinanderzusetzen und diese zukünftig in Lehr- und Lerninhalte miteinzubeziehen.

Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung im Fleischerhandwerk

Der Modellversuch TRANS-SUSTAIN ist ganz konkret in der betrieblichen (Aus-)Bildung verankert und fokussiert die Entwicklung nachhaltigkeitsorientierter Kompetenzen. Ziel ist es, unter Berücksichtigung aktueller Herausforderungen und Marktveränderungen, Themen der Nachhaltigkeit für dieses spezifische Berufsfeld und konkrete Anhaltspunkte für die Ausbildung zur Entwicklung von nachhaltigkeitsorientierten Kompetenzen zu generieren.  Auszubildende sowie auch Ausbildende sollen bewusst mit der Thematik Nachhaltigkeit sowie den damit verbundenen Implikationen und Herausforderungen konfrontiert werden. Die Betriebe des Fleischerhandwerks sollen durch den Modellversuch in die Lage versetzt werden, selbstgesteuert und zukunftsorientiert weitere Kompetenzen der Beschäftigten zu entwickeln und ebenfalls ein stabiles, aber flexibles Geschäftsmodell gegenüber zukünftigen Anforderungen sowie Herausforderungen zu gestalten. Dabei sollen Handlungspotenziale für ihre eigene betriebliche Praxis erkannt und in eigenständige Entwicklungsprojekte umgesetzt werden. Die aus der Praxis gewonnen Erkenntnisse münden anschließend in einen Kompetenzrahmen, welcher die Erfordernisse und aktuellen Herausforderungen des Fleischerhandwerks abbildet (s. Infografik).

Zur Umsetzung in die Praxis sollen Lernbausteine rund um das Thema Nachhaltigkeit im Fleischerhandwerk gemeinsam mit Auszubildenden und Ausbildenden entwickelt und später für die betriebliche Ausbildung zur Verfügung gestellt werden.

Ein erster Zugang zum Status Quo wurde über acht Experteninterviews sowie erste Interviews mit Betrieben in Thüringen erreicht. Die Infografik zeigt die dabei erkannten sechs möglichen Handlungsfelder, aus denen sich Kompetenzanforderungen für zukünftige Fleischer und Fleischerinnen ergeben.

Die sechs Themenfelder:

Tierhaltung

Nachhaltige Tierhaltung verbindet die Begriffe „Tierwohl“ und „Tiergerechtheit“. Dazu gehört der Umgang mit Tieren, die Haltungsform, Tiergesundheit, sowie Tiertransporte und die Art der Schlachtung.

„Damit dann vielleicht immer mehr Bauern zu unterstützen, dass es in Zukunft mehr nachhaltige Landwirtschaft gibt und möglichst immer die Leute bewusster essen, die Leute davon überzeugen, dass wäre so unsere Vision.“
- Fleischproduzent, Weilburg

Herstellung & Produktion

Transparenz in allen Produktionsstufen, keine Verschwendung („from nose to tail“) keine Zusatz- Farb- oder Konservierungsstoffe, lokale oder biologisch angebaute Zutaten wie Kräuter oder Gewürze, sparsame und nachhaltige Verpackungen.

 „Also immer wieder neue Sachen erfinden und machen, um wirklich alles verkaufen zu können, um nichts wegzuschmeißen, um nicht irgendwelche, ja was soll ich sagen, ja um wirklich die Tiere […]. From nose to tail komplett.”
- Nachhaltiger Fleischermeister und Ehefrau in Berlin

Ressourcenmanagement

Ressourcenmanagement reicht vom Energiemanagement bis hin zu nachhaltigen Verpackungen und Folien sowie möglichst viel Weiterverwertung, dementsprechend wenig Restabfall.

 „(Ich verwerte) 95%. Ich versuche relativ viel zu verwerten von den Tieren. Weil ich auch meinen Kunden immer sage, das Tier hat ja gelebt, es ist für uns gestorben […]“
- Fleischermeister, Brandenburg

Technologisierung

Zur Technologisierung und Digitalisierung gehören auch neue Distributions- und Kommunikationswege, neue Materialien, Maschinen und neue Programme.

„Zum Beispiel sind wir aktuell dran, im Thema Verpackung […]. Dass wir den Folienanteil an der Verpackung senken, durch Rezyklate ersetzen, wie auch immer. Dieses Thema, wir haben im Werksverkauf eine extra Theke eingerichtet, für die Kunden, die mit Dosen kommen.“
- Fleischproduzent, Thüringen

Kommunikation & Netzwerk

Nachhaltiges Handeln muss kommuniziert werden. Dazu gehören alle Stakeholder der Produktionskette, vom Zulieferer über Mitarbeiter bis hin zum Kunden, aber auch Kommunen und Schulen. Regionale Partnernetzwerke erleichtern nachhaltiges Tun auf lokaler und nationaler Ebene, stärken das Geschäft und fördern eine positive Kommunikation der Betriebe nach außen.

„Wir machen sehr viel auch in Richtung, dass wir Schulen besuchen, dass wir in den Klassen, in denen jetzt die Berufsausbildung oder spätere Berufsleben im Vordergrund stehen, achte, neunte, dass wir da auch Vorträge machen mit anderen Betrieben zusammen […]“
- Ausbilder, Thüringen

Personal & Nachwuchs

Nachwuchssicherung und Personalmangel können existentielle Themen für Fleischerbetriebe in Deutschland sein. Nachhaltiges Handeln hebt die Glaubwürdigkeit und stärkt das Image von Unternehmen. Kompetenzen für nachhaltiges Handeln wird für kommende Generationen immer wichtiger und Lernen in einem nachhaltigen Handwerksbetrieb kann den Beruf des Fleischers/ der Fleischerin wieder attraktiver für den Nachwuchs machen.

„Sie werden mehr soziale Kompetenzen gebrauchen, wie Komunikationsfähigkeit für eine gute Kundenorientierung, aber auch Zuverlässigkeit […]“
- Fleischermeister, Brandenburg

In der Diskussion mit den Experten deuteten sich bereits Potenziale für eine weitere Qualifizierung der Auszubildenden, aber auch Ausbildenden an (siehe ebenso Infografik). Hier kristallisieren sich erste Erkenntnisse zu einem professionsbezogenen Kompetenzprofil heraus. Metaphorisch könnte gesagt werden „Das Feld für das weitere Vorgehen ist bestellt“. Die vorgefundenen Ansätze werden in einem nächsten Schritt in Modellunternehmen überprüft sowie in Workshops gemeinsam mit Auszubildenden und auch Ausbildenden diskutiert. Dazu finden auch weitere Interviews mit Ausbildenden sowie Betriebsbesichtigungen statt. Es sollen Erkenntnisse über die ganz konkrete Ausbildungspraxis, bereits etablierte nachhaltige Prozesse sowie Herausforderungen für den Fleischerberuf gefunden werden.