Aufbau und Weiterentwicklung medienpädagogischer Kompetenz
In einem mehrstufigen Entwicklungsprozess wurde das Modell medienpädagogischer Kompetenz von betrieblichem Ausbildungspersonal entwickelt und durch Experteninterviews bestätigt. Es liegt damit ein theoretisch deduktiv angelegtes Modell vor, das die Komponenten medienpädagogischer Kompetenz betrieblichen Ausbildungspersonals umfänglich beschreibt. Das entwickelte Modell umfasst sowohl die grundlegende Beschreibung der einzelnen Komponenten medienpädagogischer Kompetenz (Mediendidaktik, Medienerziehung, Medienintegration sowie die individuelle Medienkompetenz als Voraussetzung) als auch einen idealtypischen Prozess zum Erwerb dieser Kompetenz im Kontext der betrieblichen Ausbildungstätigkeit.

Die Analyse medienpädagogischer Herausforderungen in der Berufsbildung wurde fortgesetzt mit der Befragung betrieblichen Ausbildungspersonals zu Aspekten der Ausbildungspraxis. Die Ergebnisse der durchgeführten Onlinebefragung zeigen, dass das befragte Ausbildungspersonal den Herausforderungen, die mit der Digitalisierung in der Ausbildung einhergehen, nach eigener Einschätzung kompetent begegnet. Die Befragungsergebnisse weisen aus, dass sich Ausbilder/-innen in ihrer alltäglichen Ausbildungspraxis regelmäßig mit mediendidaktischen und medienerzieherischen Fragen auseinandersetzen, über Einblicke in die medien- bezogene Organisationsentwicklung in ihrem Unternehmen verfügen und in diese Prozesse nach eigenen Angaben involviert sind. Inwieweit die getätigten Selbsteinschätzungen in den drei Bereichen medienpädagogischer Kompetenz (Mediendidaktik, Medienerziehung, Medienintegration), die bereichsübergreifend auf einem vergleichsweise hohen Niveau angesiedelt sind, die reale Ausbildungspraxis in ihrer Breite widerspiegeln, ist kritisch zu reflektieren. Die Befragung per Onlinetool lässt auf eine positive Selbstselektion der Befragten schließen. Unabhängig von der (unerwartet) positiven Selbsteinschätzung und den Ergebnissen im Einzelnen hat die Onlinebefragung das entwickelte Modell in seinen grundlegenden Kategorien und als Analyseeinstellung bestätigt.
Im Anschluss an die Onlinebefragung wurden Gruppeninterviews mit betrieblichem Ausbildungspersonal aus den exemplarisch ausgewählten Ausbildungsberufen durchgeführt. Im Korrektiv zu den Ergebnissen der Onlinebefragung ergaben die in den Berufsfeldern durchgeführten Gruppeninterviews ein differenzierteres Bild medienbezogener Ausbildungspraxis. Zu unterscheiden sind in diesem Kontext auf der einen Seite die berufsbezogene Mediennutzung von spezifischen Anwendungen, die geschult werden sollte, und auf der anderen Seite die sich in der Berufspraxis ergebenden medienpädagogischen Anforderungen, die sich im Prozess der Ausbildung an das Ausbildungspersonal stellen. Die sachgemäße Anwendung von berufsspezifischen Programmen und Anwendungen (z. B. digitale Messverfahren) erfordert, dass Auszubildende in der Nutzung der Programme geschult werden. Damit einhergehend ergeben sich unter dem Einfluss der Digitalisierung die herausgearbeiteten medienpädagogischen Herausforderungen: So treffen alle Ausbilder/-innen, die an den Gruppeninterviews teilnahmen, in ihrer Ausbildungspraxis zahlreiche mediendidaktische Entscheidungen (selbst wenn dies nicht systematisch-reflektierend geschieht).
Digitale Medien sind als Werkzeuge und Informationsträger in die Ausbildung eingebunden und ihr effektiver Einsatz zum Zweck der Wissensvermittlung, und der darüber hinausgehenden Kompetenzförderung kann als handlungsleitend für das interviewte Ausbildungspersonal gelten. Das Lehren und Lernen mit Medien (Mediendidaktik) ist als inhärenter Bestandteil der Berufsbildung identifizierbar und lässt sich mithilfe des Modells der medienpädagogischen Kompetenz systematisch entwickeln.
Medienerzieherische Aspekte kommen vor allem im Bereich der Informationsbeschaffung und -beurteilung zum Tragen. Über alle Gruppen hinweg wird eine mangelnde Informationskompetenz aufseiten der Auszubildenden festgestellt. Ein angemessenes Verhalten in Bezug auf die Datensicherheit und den Umgang mit personenbezogenen Daten (gerade in Bezug auf die Nutzung von sozialen Netzwerken) ist ebenfalls berufsfeldübergreifend von Relevanz.
Im Bereich der Medienintegration ist eine Steigerung der Ausstattungsqualität zu Ausbildungszwecken ein zentrales Thema für das Ausbildungspersonal. Dass für die Ausbildung oftmals auf veraltete Hardware zurückgegriffen werden muss, wirkt sich in vielfacher Hinsicht als hemmend aus. Die verlässliche Nutzbarkeit und Nutzerfreundlichkeit der Geräte sind oftmals nicht gegeben. Dies erschwert zum einen das mediendidaktisch motivierte Anknüpfen an die medialen Vorerfahrungen der Auszubildenden, zum anderen spiegeln die in der Ausbildung eingesetzten digitalen Lernwerkzeuge die beruflichen Anforderungen im Rahmen der Digitalisierung nur ansatzweise wider. Die Einbindung digitaler Lernträger in betriebliche Abläufe mit der dafür notwendigen Organisationsentwicklung stellt eine weitere Hürde dar, die vom Ausbildungspersonal allein nicht überwunden werden kann. Spätestens hier zeigt sich deutlich, dass ein erfolgreicher digitaler Transformationsprozess im Betrieb in der Verantwortung aller Betriebsebenen liegt. Leitungsebene, Führungskräfte, Fachkräfte und Ausbildungspersonal bis hin zu den Interessenvertretungen sind hier gefordert, eine gemeinsame Strategie zu konzipieren und umzusetzen.
Aus den Teilbereichen der vorliegenden Untersuchung ergeben sich zum Aufbau und zur systematischen Weiterentwicklung medienpädagogischer Kompetenz von betrieblichem Ausbildungspersonal folgende Schlussfolgerungen:
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Schlussfolgerung 1: Entwicklung domänenspezifischer Best-Practice-Angebote zur Sicherung der fachlich-inhaltlichen Qualität der Ausbildungsmedien
Die Entwicklung qualitätsgeprüfter, domänenspezifischer Materialien, Fallbeispiele und berufsspezifischer Visualisierungen wird von Ausbilderinnen und Ausbildern als zentrale Erleichterung für den Ausbildungsalltag angesehen. Das Angebot kontinuierlich aktualisierter Informationen aus verlässlicher Quelle, z. B. über die Nutzung von Lern- und Kommunikationsplattformen, die über das Netz zugänglich sind und von einem Anbieter zur Verfügung gestellt werden, der die fachliche Korrektheit der Materialien und Informationen gewährleistet, wäre aus Sicht des Ausbildungspersonals ein großer Gewinn für die Ausbildungspraxis. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass eine für betriebliche Ausbilder/-innen zentrale Anlaufstelle im Internet für derartige Angebote auch hilfreich wäre, um möglicherweise bereits verspieltes Vertrauen im Zusammenhang mit im Internet zur Verfügung gestellten ausbildungsrelevanten Materialien wiederaufzubauen. Das BIBB-Portal für Ausbilder/-innen - foraus.de (www.foraus.de) - verfügt mit seinem Informations- und Kommunikationsservice über die Infrastruktur, die Akzeptanz und den Bekanntheitsgrad beim Ausbildungspersonal, um eine solche qualitätsgesicherte Unterstützung der betrieblichen Ausbildungsgestaltung mithilfe digitaler Medien und Features strukturiert anbieten zu können.
Die in den nun weiter genannten Schlussfolgerungen aufgeführten zentralen Aspekte spiegeln den unmittelbar anwendungsorientierten Unterstützungsbedarf für das betriebliche Ausbildungspersonal im digitalen Transformationsprozess der Arbeits- und Berufswelt wider. Sie bilden ein Bündel von notwendigen Voraussetzungen, um Lehr- und Lerninhalte auf Basis eigener medienpädagogischer Kompetenz selbst auswählen, selbst domänenspezifisch konfigurieren und somit zeitgemäß vermitteln zu können. Gleichzeitig dokumentiert sich hier deutlich die Komplexität der zusätzlich zu erwerbenden Kompetenz, die betriebliches (und auch schulisches) Ausbildungspersonal inzwischen benötigt, um den mit der Digitalisierung verbundenen neuen Ansprüchen an eine zeitgemäße Berufsausbildung genügen zu können. Dies belegt das im Forschungsprojekt entwickelte Modell medienpädagogischer Kompetenz mit seinen drei Ankerpunkten "Mediendidaktik", "Medienerziehung" und "Medienintegration". Das Modell medienpädagogischer Kompetenz bietet gleichzeitig einen Vorschlag zur Aneignung des für die Entwicklung dieser Kompetenz erforderlichen Wissens an.
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Schlussfolgerung 2: Informationen und Weiterbildungsangebote zum Medienrecht, Datenschutz und zur Datensicherheit zur Sicherung von rechtskonformem Handeln in der Ausbildungspraxis
Ebenfalls berufsfeldübergreifend wurde der Bedarf an Weiterbildungsangeboten und Informationen zum Themenkomplex Medienrecht, Datenschutz und Datensicherheit geäußert. Auch in diesem Bereich herrscht Unsicherheit beim betrieblichen Ausbildungspersonal, was bei der Nutzung digitaler Medien, insbesondere bei der Entwicklung eigener Ausbildungsmaterialien, erlaubt ist und was nicht. Dies führt auch in diesem Bereich dazu, dass sich betriebliches Ausbildungspersonal aus Unkenntnis der Sachlage gänzlich von der Nutzung digitaler Medien im Ausbildungszusammenhang verabschiedet. Entsprechende, auf betriebliches Ausbildungspersonal zugeschnittene Weiterbildungsangebote und Informationen könnten hier Abhilfe schaffen.
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Schlussfolgerung 3: Weiterbildungsangebote zum Aufbau medienpädagogischer Kompetenz als Beitrag zum systematischen Aufbau dieser Kompetenz in der Ausbildung des Ausbildungspersonals
Weiterbildungsangebote sollten eine systematische Entwicklung von medienpädagogischer Kompetenz (Medienerziehung, Mediendidaktik, Medienintegration) ermöglichen und regional erreichbar sein. Darüber hinaus kann eine Strukturierung des Angebots nach Berufsfeldern spezifischen Herausforderungen in den Bereichen medienpädagogischer Kompetenz begegnen und einen direkten Transfer in Weiterbildung und Ausbildungspraxis begünstigen.
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Schlussfolgerung 4: Informationen und Tools zur Bewertung von Ausbildungsleistungen zur Förderung und Prüfung beruflicher Kompetenzen bereitstellen
Die Bereitstellung von Informationen zum Umgang mit einer kompetenzorientierten Bewertung von Ausbildungsleistungen ist als zentral anzusehen. Ein Überblick über kompetenzorientierte Diagnose- und Fördertools für Auszubildende, Informationen über Bewertungskriterien für Kompetenzen sowie kompetenzorientierte Prüfungen sollten in den jeweiligen Berufsfeldern zugänglich gemacht werden.
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Schlussfolgerung 5: Informationen und Unterstützung zum Thema Cybermobbing zur Konfliktlösung und -prävention
Im Ausbildungsalltag treten immer wieder Fälle unangemessenen Verhaltens im Zusammenhang mit der Nutzung sozialer Netzwerke auf. Das Ausbildungspersonal formuliert in diesem Zusammenhang einen direkten Unterstützungsbedarf bei der Bewältigung dieser Fälle. Dabei sollten sich die Hilfs- und Orientierungsangebote nicht auf den Umgang mit akuten "Problemfällen" beschränken, sondern darüber hinaus Hinweise für einen medienerzieherischen präventiven Umgang mit diesem Themenbereich in der Ausbildung bieten. Nötig wären in diesem Zusammenhang Übersichten mit regionalen Institutionen oder Ansprechpartnern/Ansprechpartnerinnen, die kontaktiert werden können und im Einzelfall professionelle Unterstützung bieten können.
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Schlussfolgerung 6: Ressourcen für die Gestaltung digitaler Lernumgebungen für den Aufbau eines mediendidaktischen Wissensmanagements
Die Integration und Transformation von Lerninhalten in digitale Lehr- und Lernformate erfordert konzeptionelle Arbeit und zeitliche Ressourcen, die in vorhandenen Ausbildungsabläufen nicht abgebildet werden. Dabei wird zum einen die Übertragung vorhandener Inhalte auf digitale Informationsträger, zum anderen der zielgerichtete Einsatz digitaler Lernumgebungen und ihrer Potenziale für die Aneignung bestimmter beruflicher Kompetenzen fokussiert, der in weiten Teilen noch nicht ausgelotet ist. Letzteres obliegt gerade den Expertinnen und Experten für die Ausbildungspraxis, die in ihrem Berufsfeld die Potenziale digitaler Medien für die Förderung beruflicher Handlungskompetenzen nutzbar machen können.
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Schlussfolgerung 7: Bereitstellung digitaler Sicherheitsunterweisungen zur Unterstützung betrieblicher Anforderungen
Arbeitssicherheit und Unfallverhütung sind an den meisten Arbeitsplätzen insbesondere auch im Ausbildungszusammenhang wichtige Themen, die ihren Niederschlag i. d. R. auch in entsprechenden Sicherheitsunterweisungen finden. Domänenspezifische, digital gestützte Sicherheitsunterweisungen könnten hier helfen, diese Themen zu jeder Zeit an jedem Arbeits- platz bzw. -ort aufzugreifen und zu vertiefen.
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Schlussfolgerung 8: Betriebsvereinbarungen zum Lernen mit digitalen Medien
Der Einsatz digitaler Medien im Ausbildungszusammenhang ist in vielen Unternehmen aus Sicherheitsgründen durch Betriebsvereinbarungen reglementiert, sodass es auch in der betrieblichen Ausbildung für das Ausbildungspersonal schwierig ist, digitale Medien zum Einsatz zu bringen. Hier könnten Hinweise zur Formulierung domänenspezifischer Betriebsvereinbarungen helfen, um Handlungsspielräume erkennen und nutzen zu können.
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Schlussfolgerung 9: Angemessene digitale Ausstattung für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenzen in der Ausbildung
Um in der Ausbildungspraxis einerseits den Herausforderungen der Digitalisierung im Berufsfeld begegnen zu können (z. B. Nutzung von relevanten Anwendungen) und um andererseits die Auszubildenden durch eine moderne Ausstattung zu motivieren, ist es notwendig, dass in der Ausbildungspraxis auf eine aktuelle Technikausstattung (Hard- und Software) zurückgegriffen wird.
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die besondere Bedeutung medienpädagogischer Kompetenz betrieblichen Ausbildungspersonals im Prozess fortschreitender Digitalisierung mit dem vorliegenden Forschungsprojekt bestätigt werden konnte. Die handlungspraktische Bedeutung medienpädagogischer Kompetenz für die Entwicklung der beruflichen Ausbildungspraxis wurde in unterschiedlichen Projektbestandteilen sichtbar.
Die Herausforderungen der Digitalisierung lassen sich nicht allein durch Aus- und Weiterbildung betrieblichen Ausbildungspersonals bewältigen. Hierfür sind institutionen- und bildungsbereichsübergreifende Anstrengungen erforderlich, die andere Bildungsorte systematisch einbeziehen (insbesondere die Schule und die Berufsschule). Betriebliches Ausbildungspersonal nimmt in diesem Prozess eine überaus wichtige Rolle ein, die es anzuerkennen gilt, indem entsprechende Unterstützungsmaßnahmen initiiert und dauerhaft etabliert werden.