Störungen im Ausbildungsverhältnis
Störungen im Ausbildungsverhältnis sind keine Seltenheit. So liegt die Vertragslösungsquote seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau bei circa einem Viertel der Ausbildungsverhältnisse (2020 bei 25,1 %; siehe Berufsbildungsbericht 2022). Auch wenn die Gründe für Konflikte vielfältig sind und ein Großteil der Auszubildenden ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb oder einem anderen Ausbildungsberuf fortsetzen, sollten die Konsequenzen einer Abmahnung oder Kündigung bedacht werden.


Abmahnung
Verletzen Ausbilder oder Auszubildender ihre vertraglichen Pflichten, ist eine Kündigung in der Regel erst dann zulässig, wenn die Pflichtverletzung zuvor abgemahnt worden ist. Das mildere Mittel der Abmahnung mit Kündigungsandrohung soll dabei dem Abgemahnten die Möglichkeit geben, sein abgemahntes Verhalten zukünftig zu ändern.
Folgende Kriterien muss eine Abmahnung erfüllen:
- Die Pflichtverletzung muss genau beschrieben sein.
- Die Kündigung muss bei fortgesetztem Fehlverhalten angedroht werden.
- Die Abmahnung muss zeitnah nach der Pflichtverletzung ausgesprochen werden.
Ist der Auszubildende noch minderjährig, muss die Abmahnung den Eltern oder den gesetzlichen Vertretern zugestellt werden.
Durch die Abmahnung ist die gerügte Pflichtverletzung in der Regel "verbraucht" und kann nicht mehr als wichtiger Grund einer Kündigung herangezogen werden. Kommt es nach der ersten oder zweiten Abmahnung erneut zu einem gleichgelagerten Pflichtenverstoß, kann unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zumeist die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses ausgesprochen werden.
Auf eine Abmahnung kann im Einzelfall bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen verzichtet und unmittelbar die Kündigung erklärt werden.
Fallbeispiele:
Ausländerfeindliche Äußerungen > fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung zulässig (BAG, Urteil vom 01.07.1999, 2 AZR 676/98)
Massiv ehrverletzende Äußerungen via Facebook, Bezeichnung des Ausbildenden als "Menschenschinder" und "Ausbeuter" > fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung zulässig (LAG Hamm, Urteil vom 10.10.2012, 3 Sa 644/12)
Kündigung
In § 22 BBiG wird die Kündigung während der Ausbildung geregelt. So kann der Ausbildungsbetrieb, aber auch der Auszubildende das Berufsausbildungsverhältnis kündigen. Die Gründe können ganz unterschiedlich sein, z. B. die fortgesetzte Pflichtverletzung einer Seite. Auch könnte es sein, dass der Auszubildende sich entscheidet, die Ausbildung aufzugeben, weil er eine andere Berufslaufbahn einschlagen oder studieren möchte.
Kündigung in der Probezeit
Während der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis ohne Angabe von Gründen und ohne Kündigungsfrist jederzeit gekündigt werden.

Ordentliche Kündigung
Auszubildende können nach der Probezeit mit einer Frist von vier Wochen das Ausbildungsverhältnis kündigen. Gründe können z. B. die Aufgabe der Berufsausbildung oder der Wunsch sein, eine andere Berufsausbildung zu machen.
Minderjährige brauchen für die Kündigung und die Aufhebung des Ausbildungsvertrags das Einverständnis der Erziehungsberechtigten oder der gesetzlichen Vertreter. Die Kündigung muss schriftlich und unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ist für den Ausbildungsbetrieb dagegen nicht vorgesehen.
Fristlose Kündigung
Beide Seiten, Auszubildende und der Ausbildungsbetrieb, können den Ausbildungsvertrag gemäß § 22 Abs. 2 BBiG fristlos kündigen. Dafür muss aber ein wichtiger Grund vorliegen, nach dem der kündigenden Vertragspartei die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung des Interesses beider Vertragsparteien nicht länger zuzumuten ist. Die Gründe für eine fristlose Kündigung können verhaltens-, personen- oder betriebsbedingt sein.
Verhaltensbedingte Kündigungsgründe bestehen in der Regel in Pflichtverletzungen, die entweder der Ausbildungsbetrieb oder der Auszubildende sich hat zu Schulden kommen lassen, z. B.:
- Verstöße des ausbildenden Betriebs gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz oder das Arbeitszeitgesetz
- Mangelhafte Ausbildung des Betriebs
- Unentschuldigtes Fehlen im Betrieb oder in der Berufsschule
- Nichtbeachtung von Arbeitsanweisungen, Sicherheitsbestimmungen oder Verboten
- Mutwillige Beschädigung von Werkzeug
- Während der Ausbildungszeit begangene Straftat
- Berichtsheft wiederholt verspätet vorgelegt oder gar nicht geführt
Die personenbezogene Kündigung stellt in der Regel auf ganz individuelle Probleme ab, wie z. B. gesundheitliche Probleme, die eine Fortsetzung der Berufsausbildung nicht mehr möglich machen und wenn die Eignung für den Beruf nicht mehr gegeben ist.
Ein betriebsbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Ausbildungsbetrieb oder die Ausbildungsabteilung stillgelegt werden. Eine Insolvenz oder wirtschaftliche Probleme eines Betriebs reichen nicht aus. Während des Insolvenzverfahrens bleibt das Ausbildungsverhältnis bestehen. Nur der Insolvenzvermittler kann eine Kündigung aussprechen. Bei Stilllegung ist der Ausbildungsbetrieb dazu verpflichtet, die Fortsetzung der Ausbildung des Auszubildenden in einem anderen Betrieb zu ermöglichen. Die Agentur für Arbeit hilft bei der Suche nach einer neuen Ausbildungsstätte.
Auch der Auszubildende kann aus betriebsbedingten Gründen kündigen, zum Beispiel
- im Fall eines Betriebsübergangs oder
- wenn die Ausbildungsstätte an einen anderen weit entfernten Ort verlegt wird.
Die Kündigung muss jeweils schriftlich erfolgen und im Falle der fristlosen Kündigung unter genauer Angabe der Kündigungsgründe, § 22 Abs. 3 BBiG. Auch darf der auslösende Kündigungsgrund dem Kündigungsberechtigten nicht länger als zwei Wochen bekannt sein, § 22 Abs. 4 BBiG. In der Regel wird als milderes Mittel eine vorherige Abmahnung erforderlich sein.
Besonderer Kündigungsschutz
Einen besonderen Kündigungsschutz genießen Auszubildende, die entweder schwanger, in Elternzeit, schwerbehindert oder aber Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) sind.
Personenkreis | Gesetz | Kündigungsschutzvorschriften |
JAV Erweiterung auch auf Stellvertreter, Wahlbewerber und Wahlvorstände |
§ 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) |
Ordentliche Kündigung ab Beginn der Amtszeit und innerhalb eines Jahres nach Ende der Amtszeit nicht möglich! Ausnahme: Betriebsschließung
Außerordentliche Kündigung nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig, § 103 BetrVG
Mitglieder der JAV sind in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen, wenn nicht 3 Monate vor Ausbildungsende schriftlich gekündigt wird. Bei Wahlbewerbern und Mitgliedern des Wahlvorstands endet der Schutz schon nach sechs Monaten ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses. |
Werdende/junge Mütter | Mutterschutzgesetz (MuSchG) bzw. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) |
Kündigungsverbot ab Beginn der Schwangerschaft bis zum Ablauf von 4 Monaten nach der Entbindung. Gilt auch in der Probezeit! Elternzeit: ab Beantragung der Elternzeit, frühestens acht Wochen vor deren Beginn, bis 36 Monate nach der Geburt; auch für Väter! |
Schwerbehinderte (ab 50 %) oder sog. Gleichgestellte | Schwerbehindertengesetz (SchwbG) |
Bei einem über 6 Monate bestehenden Arbeitsverhältnis ist eine (ordentliche wie außerordentliche) Kündigung nur mit Zustimmung des Integrationsamts möglich. Hat der AG keine Kenntnis von der Schwerbehinderung/Gleichstellung des gekündigten AN, muss ihm der AN dies spätestens drei Wochen nach Erhalt der Kündigung mitteilen. |
Gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit einer Kündigung
Der Gekündigte hat die Möglichkeit, die Wirksamkeit der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht überprüfen zu lassen. Dabei ist zu beachten, dass er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erheben muss, da sonst die gesetzliche Fiktionswirkung greift und die ausgesprochene Kündigung von Anfang an als wirksam gilt (§ 4 KSchG).
Ist allerdings bei der für ihn zuständigen Stelle ein sog. Schlichtungsausschuss für Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden nach § 111 Abs. 2 ArbGG eingerichtet, ist die vorherige Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zwingende Prozessvoraussetzung für die Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage.
Fall: BAG, Urteil vom 23.7.2015, 6 AZR 490/14
Das BAG hat entschieden, dass in diesem Fall die Ausschlussfrist des § 4 KSchG nicht analog für die Anrufung des Schlichtungsausschusses gilt.
Wird der gefällte Schlichterspruch nicht innerhalb einer Woche von beiden Parteien anerkannt, so kann binnen zwei Wochen nach ergangenem Spruch Klage beim zuständigen Arbeitsgericht erhoben werden, § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG.