Nürnberger Gespräche: Droht nach Corona eine dauerhafte Erosion der dualen Ausbildung?
03.12.2021
Das duale Ausbildungssystem steckt in der Krise. Schon vor Corona drohte eine schleichende Auszehrung des Systems, denn immer weniger Jugendliche machen eine betriebliche Ausbildung. Über die vielfältigen Ursachen und mögliche Lösungsansätze diskutierte eine hochkarätig besetzte Expertenrunde im Rahmen der Nürnberger Gespräche, die diesmal als hybride Veranstaltung stattfanden.

Es war ein gleichermaßen illustres wie sachkundiges Quartett, das Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König am 15. November 2021 in den hohen Hallen des historischen Rathaussaals begrüßte – allen Corona-Einschränkungen zum Trotz. Außer Professor Bernd Fitzenberger, Direktor des IAB, Evelyn Räder, Abteilungsleiterin Arbeitsmarktpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund, und Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, war auch Anja Karliczek nach Nürnberg gekommen, derzeit noch als geschäftsführende Bundesministerin für Bildung und Forschung in Amt und Würden.
In seiner Begrüßungsrede mahnte König, der einst selbst eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert hat, eine gemeinsame Anstrengung aller an der beruflichen Bildung beteiligten Akteure an, um den negativen Trend bei der Dualen Ausbildung zu brechen. „Die Wirtschaft“, so König, „braucht gut ausgebildete Fachkräfte, um nach der Pandemie voll durchstarten zu können.“
Dass es einer gemeinschaftlichen Kraftanstrengung bedarf, zeigen auch die Zahlen. Denn die sehen nicht gut aus, wie Moderatorin Ute Möller deutlich machte: Im Jahr 2020 ging die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in der Dualen Ausbildung laut Berufsbildungsbericht um 11 Prozent zurück – der größte Rückgang seit 1977.
Schulte: „Wenn wir die großen Zukunftsaufgaben bewältigen wollen, brauchen wir eine Dekade der beruflichen Bildung“
Handwerksvertreter Karl-SebastianSchulte warnte dennoch davor, „einer dauerhaften Erosion des dualen Ausbildungssystems“ das Wort zu reden. Alle Beteiligten hätten in der Corona-Krise enorm viel getan, um die Situation zu stabilisieren. Die Zahl und der Anteil vorzeitig gelöster Ausbildungsverträge seien sogar geringer gewesen als vor der Krise. Um eine Erosion des dualen Ausbildungssystems zu vermeiden, forderte er einen Neustart für die Zeit nach Covid-19: „Wir müssen gemeinsam alles dafür tun, damit wir die Fachkräfte, die wir in Zukunft brauchen, auch finden und binden“.
Karliczek: „Wir müssen junge Menschen stärker für das Tun begeistern“
Karliczek wusste sich mit den anderen Podiumsgästen darin einig, dass es wesentlich sei, junge Menschen die Vielfalt von Ausbildungsberufen nahezubringen. Ihrer Einschätzung nach muss die Berufsorientierung gerade an den Gymnasien gestärkt werden. Dies sei auch ein wichtiger Punkt in der Initiative „Bildungsketten“, die der Bund mit den Ländern kürzlich bis 2026 verlängert habe.
Fitzenberger: „Ein erheblicher Teil der Jugendlichen, die eine Ausbildung abbrechen, nehmen danach keine zweite mehr auf“
Eine inhaltliche Kontroverse entzündete sich schließlich an der Frage, warum Jugendliche mit Migrationshintergrund seltener eine duale Ausbildung machen als solche ohne Migrationshintergrund. So widersprach Räder tendenziell der Einschätzung, dass diese qua Herkunft zu wenig mit dem deutschen Ausbildungssystem vertraut seien.
Walwei: „Die duale Ausbildung ist ein Riesen-Asset“
IAB-Vizedirektor Professor Ulrich Walwei wusste sich in seinem Schlusswort mit dem Podium einig: Die duale Ausbildung ist ein „Riesen-Asset“. Und dies gilt laut Walwei in mehrfacher Hinsicht: Denn es profitierten nicht nur die Betriebe und die jungen Menschen selbst, sondern auch die Volkswirtschaft als solche, da gut ausgebildete Arbeitskräfte für eine hohe Produktivität sorgen. Indem die duale Ausbildung jungen Menschen Perspektiven eröffne, beuge sie auch der Gefahr der Perspektivlosigkeit vor, der sich beispielsweise in Südeuropa weite Teile der jungen Generation gegenübersähen.
Weitere Informationen
Die Nürnberger Gespräche werden zweimal im Jahr von der Stadt Nürnberg und der Bundesagentur für Arbeit unter Federführung des IAB ausgerichtet. Die ausführliche Dokumentation und ein Video der Veranstaltung finden Sie auf der Webseite des IAB: Nürnberger Gespräche: Droht nach Corona eine dauerhafte Erosion der dualen Ausbildung?