BP:
 

Die Sicherung der Berufsbildung muss über kurzfristige Krisenbewältigung hinausgehen

30.10.2020

Anlässlich der Veröffentlichung der Arbeitsmarkt- und Ausbildungszahlen durch die Bundesagentur für Arbeit fordern ZDH und DGB eine strukturelle Stärkung der beruflichen Bildung.

Die Sicherung der Berufsbildung muss über kurzfristige Krisenbewältigung hinausgehen

Sowohl der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprachen sich für eine stärkere strukturelle Unterstützung beruflicher Ausbildung aus.

Die rückläufigen Zahlen bei Ausbildungsbewerbern wie auch bei ausbildenden Betrieben müssten ein Weckruf sein, dass die Sicherung beruflicher Ausbildung schon jetzt über die kurzfristige Pandemiebewältigung hinausgehen müsse. Das Ausbildungsengagement der Betriebe und das Ausbildungsgeschehen insgesamt müssten stärker unterstützt und stabilisiert werden, damit sich auch in Zukunft genügend Ausbildungsbetriebe und Azubis auf den gemeinsamen Weg beruflicher Ausbildung machen. Dies teilte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), anlässlich der Veröffentlichung der Arbeitsmarkt- und Ausbildungszahlen durch die Bundesagentur für Arbeit mit.

Ziel aller Akteure der Berufsbildung müsse es sein, dass das Ausbildungsniveau durch die Corona-Pandemie nicht substantiell sinkt. "In der Finanzkrise 2009 haben wir die Erfahrung machen müssen, dass das Ausbildungsniveau eingebrochen ist und danach das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht werden konnte. Das darf sich keinesfalls wiederholen, weil mit einem immer niedrigeren Sockel an Auszubildenden langfristig die Fachkräftesicherung für unsere Betriebe immer schwieriger wird." so Wollseifer weiter. Deshalb sei Handeln jetzt angesagt. Es gelte, das auf Drängen der Allianz für Aus- und Weiterbildung ins Leben gerufene Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ zügig nachzujustieren. In seiner jetzigen Form entfalte es nicht die notwendige Wirkung.

"Um die duale Ausbildung langfristig gerade auch für Kleinst- und Kleinbetriebe des Handwerks attraktiv zu erhalten, brauchen wir – unabhängig von der aktuellen Krisensituation – Entlastungen bei den Ausbildungskosten. Ausbildungsbetriebe im Handwerk tragen mittlerweile rund 60 Prozent der Kosten der überbetrieblichen Unterweisung (ÜLU), die ein wesentlicher Bestandteil einer handwerklichen Ausbildung ist, und das, obwohl eine Drittelfinanzierung jeweils durch Bund, Land und Betrieb vorgesehen ist. Um Betriebe zu entlasten, müssen die Zuschüsse des Bundes und der Länder schrittweise an eine Drittelfinanzierung angepasst werden." sagte der ZDH-Präsident.

Darüber hinaus müsse das Ausbildungsverhältnis auch im Sozialversicherungsbereich von Kosten entlastet werden. Derzeit ist es so, dass für Auszubildende ein durchschnittlicher Krankenversicherungsbeitrag von 15,7 Prozent zzgl. 3,05 Prozent Pflegeversicherungsbeitrag (= 18,75 %) zu entrichten ist, der von Ausbildungsbetrieben und Auszubildenden jeweils zur Hälfte finanziert werden muss. Auch als Ausdruck der Anerkennung, dass der berufliche Ausbildungsweg als gleichwertig zum akademischen gefördert wird, sollten deshalb Auszubildende künftig – ebenso wie Studierende – über die Eltern in der Kranken- und Pflegeversicherung kostenfrei mitversichert werden. Dann hätten Betriebe geringere Ausbildungskosten zu stemmen und die Azubis mehr Geld in ihrem Portemonnaie.

DGB fordert Ausbildungsgarantie

Deutliche strukturelle Änderungen, um den Ausbildungsmarkt zu stabilisieren hat auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack gefordert. Anlässlich der von der BA veröffentlichten Bilanzzahlen sagte sie, dass sich die berufliche Bildung in einer Abwärtsspirale befände. "Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in Industrie und Handel, aber auch im Handwerk sinkt deutlich. Zugleich wenden sich weniger Jugendliche als Ausbildungsplatz suchend an die Bundesagentur für Arbeit. Und schon heute signalisieren große Betriebe, dass sie auch im kommenden Jahr weniger ausbilden wollen." so Hannack. Der beruflichen Bildung drohe ein dauerhafter Bedeutungsverlust mit noch weniger Ausbildungsbetrieben und weniger Jugendlichen in Ausbildung.

Um dies zu verhindern, seien jetzt weitreichende strukturelle Änderungen notwendig. Die kurzfristige Krisenhilfe für Ausbildungsbetriebe in der Corona-Pandemie sei zwar gut, reiche aber nicht aus, um den Negativtrend umzukehren. Vielmehr müsse die duale Ausbildung nachhaltig auf eine sichere Basis gestellt werden. "Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie, wie sie in Österreich längst praktiziert wird: Allen Jugendlichen muss auf jeden Fall der Eintritt ins erste Ausbildungsjahr möglich sein, entweder über berufliche Schulen oder bei außerbetrieblichen Ausbildungsstätten. Im zweiten Ausbildungsjahr sollen die Jugendlichen dann möglichst in einen Betrieb wechseln. Ebenso brauchen die Ausbildungsbetriebe mehr Unterstützung - zum Beispiel finanziert durch Fonds, in den nicht-ausbildende Betriebe einzahlen." so Hannack.

Kämen diese Maßnahmen nicht, würden der Wirtschaft nicht nur Fachkräfte fehlen – und zwar in enormen Ausmaßen –, es würde auch zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft kommen. "Denn vor allem, wer es schon vor Corona schwer hatte, einen Ausbildungsplatz zu finden, wird dann noch geringere Chancen auf einen solchen Platz haben. Dies betrifft vor allem junge Menschen, mit höchstens einem Hauptschulabschluss in der Tasche oder Jugendliche aus Einwandererfamilien. Schon vor der Krise blieben fast 1,4 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren ohne abgeschlossene Ausbildung. Das sind 14 Prozent dieser Altersgruppe." so Hannack weiter.

Es sei Gift für unsere Gesellschaft, wenn die Zahl der Ausbildungsbetriebe und der Auszubildenden im Sinkflug ist, gleichzeitig aber eine hohe Zahl von Jugendlichen dauerhaft ohne Ausbildung bleibt. Sie drohten am Arbeitsmarkt, aber auch in der Gesellschaft abgehängt zu werden. Viele dieser Jugendlichen fühlten sich von den demokratischen Parteien nicht mehr gesehen.

Weitere Informationen

Pressemitteilung des ZDH vom 29.10.2020
Pressemitteilung des DGB vom 29.10.2020