IAB-Studie: Mindestvergütung für Auszubildende im ersten Lehrjahr
08.07.2019
Um die duale Berufsausbildung attraktiver zu machen, will die Bundesregierung ab dem Jahr 2020 unter anderem eine Mindestvergütung für Auszubildende in Höhe von derzeit 515 Euro im ersten Lehrjahr einführen. Eine IAB-Studie ist der Frage nachgegangen, in welchem Umfang die geplante gesetzliche Regelung für Auszubildende relevant ist. Dabei zeigen sich je nach Region, Bildungsabschluss, Bildungsträger und Betriebsgröße deutliche Unterschiede. Zudem ist das Risiko für Auszubildende, weniger als die vorgesehene Mindestvergütung zu verdienen, in bestimmten Berufsbereichen überproportional hoch.

Die Analyse basiert auf den Daten der Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB aus dem Jahr 2015, dem jüngsten Berichtsjahr, für das derzeit Ausbildungskohorten vollständig abgebildet werden können.
Zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen deutliche Unterschiede
Im Jahr 2015 erhielten 16,3 Prozent aller Auszubildenden im ersten Lehrjahr ein Monatsgehalt von weniger als 515 Euro. Wie Abbildung 1 zeigt, gilt dies mit 35,5 Prozent für mehr als ein Drittel der Auszubildenden in Ostdeutschland (einschließlich Berlin), aber lediglich für 13,4 Prozent der Auszubildenden in Westdeutschland.

Abbildung 2 macht deutlich, dass analog zu den West-Ost-Unterschieden auch zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede bestehen: Während der Anteil der Auszubildenden im ersten Lehrjahr mit einem Monatseinkommen von unter 515 Euro in Bayern bei knapp 9 Prozent lag, betrug er in Mecklenburg-Vorpommern 46 Prozent.

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind mit Blick auf die Ausbildungsvergütungen dagegen eher gering (siehe Abbildung 1). So weisen Frauen unter Berücksichtigung verschiedener soziodemografischer und betrieblicher Merkmale ein 17 Prozent höheres Risiko auf, eine Ausbildungsvergütung von weniger als 515 Euro zu bekommen (siehe IAB-Veröffentlichung "Vergütung im ersten Ausbildungsjahr", Tabelle 7). Werden neben den Ausbildungsberufen gemäß BBiG auch diejenigen in vollschulischen Ausbildungsgängen auf Sekundarstufe-II-Niveau berücksichtigt, ist kein geschlechtsspezifischer Effekt zu beobachten. Dies deutet darauf hin, dass junge Frauen und Männer qualifikationsspezifisch unterschiedliche Muster im Zugang zu betrieblicher und schulischer beruflicher Bildung aufweisen.
Die schulische Vorbildung ist hoch relevant, die Staatsangehörigkeit dagegen kaum
Das Bildungsniveau, also hier der allgemeinbildende Abschluss der Auszubildenden, hat einen Einfluss auf die Ausbildungsvergütung: Wie Abbildung 1 zeigt, erhalten lediglich rund 7 Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten im ersten Ausbildungsjahr weniger als 515 Euro im Monat. Bei den Auszubildenden ohne Abitur sind es dagegen knapp 20 Prozent.
Demgegenüber spielt die Staatsangehörigkeit für die Höhe der Ausbildungsvergütung kaum eine Rolle. In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass bei minderjährigen Auszubildenden der zweiten Zuwanderergeneration vielfach von einer doppelten Staatsbürgerschaft auszugehen ist. Ein möglicher Migrationshintergrund kann daher nur bedingt identifiziert werden. Demzufolge ist der Effekt einer nichtdeutschen Staatsbürgerschaft in den hier vorgelegten Ergebnissen vermutlich noch überschätzt.
Wird die Ausbildung bei einem Bildungsträger absolviert, was als starker Hinweis auf eine öffentliche (Ko-)Finanzierung der Ausbildung interpretiert werden kann, dann erhöht sich das Risiko, weniger als 515 Euro im ersten Lehrjahr zu erhalten, erheblich. Fast 80 Prozent aller Auszubildenden bei Bildungsträgern sind dieser Gruppe zuzurechnen, aber nur 14,5 Prozent der Auszubildenden in regulärer betrieblicher Ausbildung (siehe Abbildung 1).
Die Höhe der Ausbildungsvergütung korreliert mit der Betriebsgröße
Die Höhe der Ausbildungsvergütung korreliert zudem mit der Betriebsgröße. Wie Abbildung 3 zeigt, ist das Risiko, im ersten Ausbildungsjahr weniger als die angestrebte Mindestvergütung von 515 Euro zu verdienen, in Betrieben mit bis zu vier Beschäftigten mit 33,2 Prozent am höchsten, während es in Großbetrieben mit über 500 Beschäftigten mit 3,6 Prozent vergleichsweise gering ist.

Und schließlich spielt auch der Beruf selbst eine Rolle. So liegt das Gehalt in den Berufsbereichen Fototechnik/Fotografie, Lederverarbeitung, Lebensmittelverarbeitung, Friseure, Bestattungswesen und Raumausstattung/Gestaltung im ersten Ausbildungsjahr überproportional häufig unter 515 Euro.
Fazit
Die Bundesregierung will die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der beruflichen Bildung unter anderem durch die Einführung einer Mindestvergütung für Auszubildende erhöhen. Betrachtet man die Verteilung der Monatseinkommen von Auszubildenden im ersten Lehrjahr, und hier insbesondere Ausbildungsvergütungen unterhalb von 515 Euro, so zeigen sich je nach Region, Bildungsabschluss, Bildungsträger und Betriebsgröße deutliche Unterschiede.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Auszubildende in Kleinstbetrieben in den ostdeutschen Bundesländern das größte Risiko aufweisen, unter der derzeit benannten Schwelle der Mindestausbildungsvergütung von 515 Euro zu bleiben. Zudem ist das Risiko für Auszubildende, weniger als die geplante Mindestvergütung zu verdienen, in bestimmten Berufsbereichen überproportional hoch.
Eine Mindestausbildungsvergütung macht die duale Berufsausbildung für junge Menschen interessanter, aber auch für einige Betriebe teurer. Es wird daher - auch von Seiten der Wissenschaft - zu beobachten sein, wie sich dies auf die betriebliche Ausbildungsbereitschaft auswirken wird.
Weitere Informationen
Dietrich, Hans (2019): Mindestvergütung für Auszubildende im ersten Lehrjahr: Ein Datenüberblick, In: IAB-Forum 4. Juli 2019, https://www.iab-forum.de/mindestverguetung-fuer-auszubildende-im-ersten-lehrjahr-ein-datenueberblick